Der eine oder andere wird möglicherweise in den letzten Wochen etwas von diesem Phänomen gehört haben und wer nicht, der wird es nun von mir hören, sofern derjenige auf den Thread geklickt hat. Also worum geht es? (tl;dr unten)
Sehr wahrscheinlich ist jedem Kizuna Ai noch ein Begriff, dem ersten virtuellen Avatar, der Content gemacht hat, indem die Bewegungen eines echten Menschen live in ein Modell umgesetzt wurden. Kizuna Ai existiert auch heute noch, ist aber nicht mehr so populär und sie hat mittlerweile eine gewaltige Konkurrenz, insbesondere durch den Trend, dass diese virtuellen Avatare sich heutzutage auf das Live-Streaming spezialisiert haben. Dank Facetracking-Technologie ist es mittlerweile auch deutlich zugänglicher und theoretisch kann jeder dahergelaufene Hans zu einer virtuellen Figur werden. Aber wie auch bei Facecam-Streaming gibt es immer ein paar, die herausragen und große Wellen schlagen … |
Ich hatte vorher durch die eine oder andere Gaming-News schon Bekanntschaft mit sogenannten VTubern (kurz für Virtual YouTuber) gemacht, die Spiele im Voraus antesteten und vorstellten, nachdem sie von Entwicklern eine Kopie/Demo erhalten haben, aber hab mir nie was großartig dabei gedacht. Mit Beginn diesen Jahres und wahrscheinlich vor allem auch aufgrund der Covid-Welle tauchten auf YouTube immer mehr Clips zu solchen (meist japanischen) virtuellen YouTubern auf. Von Videos, in denen ahnungslose Japaner dazu verführt werden, das N-Wort zu sagen über seltsame musikalische Darbietungen bis hin zu völlig plumpen und schamlosen Antworten auf dumme Fanfragen war alles dabei. Die Folge ist, dass die Person, die auf YouTube am meisten durch Superchats verdient hat (seit Beginn der Zählung Anfang des Jahres), ein solcher Vtuber ist, und zwar mit knapp 900 000 € in weniger als einem Jahr. Superchats sind YouTubes integrierte Möglichkeit, um einem Content Creator während eines Live-Streams Geld zu spenden. |
Aber warum zum Teufel kommt das so gut an?
Zuallererst einmal tun diese Leute Dinge, die Animecharaktere nie tun würden. Sie selbst sind zwar keine Animecharaktere, aber sie sehen halt aus wie welche (in den meisten Fällen zumindest). Zusätzlich gibt ein virtueller Avatar den Entertainern Anonymität und nicht nur das; sie haben auch den Deckmantel, dass sie im Grunde einen Charakter „spielen“, was bedeutet, dass diese Personen aus sich hinausgehen können, ohne befürchten zu müssen, dass dies Auswirkungen auf sie selbst haben könnte. Natürlich ist hierbei die Grenze zur echten Person schwammig und oft kaum bis gar nicht vorhanden, aber die Ausrede, dass man ja einen Charakter spielt, bleibt. Des Weiteren sind viele der bekanntesten YouTuber nicht unabhängig, sondern Teil einer Agentur, die ihre Talente durch ein Casting anheuern. Dadurch entsteht zum einem eine höhere Qualität, da die „langweiligeren“ Personen herausgefiltert werden und zum anderen entsteht dadurch eine gewisse Art von Branding, was dazu führt, dass den Zuschauern nach dem Entdecken von einem Talent gleich mehrere weitere vorgestellt werden. YouTubes Algorithmus hilft hier auch, da es viele Kollaborationen zwischen den VTubern gibt. Außerdem stellen die Agenturen die nötige Technik bereit. Wenn also jemand zufällig wen entdeckt, ist es wahrscheinlicher, dass derjenige Gefallen daran findet. Wahrscheinlicher als bei einem herkömmlichen Content Creator.
Doch eines hat immer gefehlt, und zwar eine Talentagentur, die sich auf ein internationales Publikum spezialisiert. Agenturen wie Hololive oder Nijisanji hatten Abteilungen für China, Indonesien, Korea etc. aber einen Fokus aufs englische Publikum gab es lange Zeit nicht, auch wenn Nijisanji die Indien-Sparte Nijisanji IN auf Nijisanji EN rebrandet hat. Zumindest bis Hololive diesen September Hololive English vorgestellt hat, welche hauptsächlich auf Englisch streamen, was der internationalen Szene einen immensen Boost gegeben hat, da diese vorher in den meisten Fällen auf Fansubs angewiesen war. Es ist absurd, wenn man sich anschaut, dass einer dieser Streamer (im Bild ganz rechts) innerhalb von drei Wochen auf über 600 000 Subscriber auf YouTube gekommen ist. Jetzt ist der Begriff VTuber teilweise im Mainstream angekommen und wer weiß, wohin uns die Zukunft noch führen wird.
tl;dr
- Virtueller Avatar als Abstraktionsebene löst Hemmungen bei den Menschen hinterm Avatar
- Visueller Appeal für Animefans
- Davon ab ganz normale Live-Streamer mit allerlei Content
Fragen
- Sind das nur Mädels?
Nee. Aber aktuell bekommen die deutlich mehr Aufmerksamkeit. Frauen profitieren meiner Meinung nach auch deutlich mehr davon, da sie durch die zusätzliche Anonymität sich nicht so sehr um Belästigung fürchten müssen. Sie müssen auch keine Angst haben als „Slut“, „E-Thot“ oder sonstwas bezeichnet zu werden. Sie müssen auch nicht wie ein Model aussehen und können einfach mehr sie selbst sein.
- Habe ich nur die Wahl zwischen den fünf Mädels, wenn ich nur Englisch verstehe?
Es gibt mehr Auswahl! Neben Hololive English sprechen die VTuber von Nijisanji EN (ehemals Nijisanji IN) auch Englisch. Pikamee von VOMS übersetzt einen großen Teil von dem, was sie sagt, ins Englische. Hana Macchia von Nijisanji ID spricht hauptsächlich Englisch und Kiryu Coco von Hololive JP hat eine untertitelte News-Show und hält ein wöchentliches Meme-Review in zwei Sprachen. Coco ist allerdings gerade auf Zwangspause, nachdem Nazis in China Randale gemacht haben, als sie Taiwan in einem Länderkontext erwähnt hat (ihr Stream wurde auf der chinesischen Plattform bilibili gemirrored). Es gibt natürlich noch weitere, vor allem unabhängige Streamer wie Ironmouse oder rosedoodle.
- Spricht auch jemand Deutsch!?
Haha … haha. Airani Iofifteen von Hololive ID und Takanashi Kiara von Hololive English sprechen beide Deutsch. Letztere ist sogar Muttersprachlerin, aber beide streamen nicht auf Deutsch.
- Ich hab jetzt schon den Überblick verloren. Was ist hier los?
Wer Beispiel-Content bestimmter VTuber sehen will, die einen ans Thema besser heranführen als Textwände und random Links, der kann sich auch dieses Video von Gigguk anschauen:
Wie schaut es bei euch aus? Schon von gehört? Macht ihr lieber einen Bogen darum und warum? Haben es euch schon welche angetan? Seid ihr zu alt für den Scheiß? Was haltet ihr von dem Konzept an sich? Gibt es sonst noch etwas, das ihr sagen möchtet?
Was mich angeht … wie gesagt wusste ich schon etwas länger davon, hab mich aber erst im August mal etwas genauer damit beschäftigt, nachdem YouTube mir etwas in der Richtung empfohlen hat und ich es auch tatsächlich mal angeklickt habe. Fand es teilweise tatsächlich lustig. Als ich dann über einen VTuber gestolpert bin, der mir tatsächlich richtig gut gefallen hat (Kiryu Coco), bin ich angefangen die Historie hinter dem Phänomen grob zu recherchieren. Mittlerweile habe ich ein recht gutes Bild davon. Sehr gerne mögen tue ich neben Kiryu Coco noch Hana Macchia und Pikamee. Roberu und Korone sind auch ganz kuhl.