Beiträge von mapS im Thema „Das iPhone Gedankenexperiment“

    Ich verstehe, was du meinst, ich stimme der Aussage aber nicht zu, weil sie von Sokrates stammt, sondern weil ich sie nachvollziehen kann. Wir haben ja mittlerweile sehr viele Möglichkeiten, Wissen zu speichern und ich habe schon viele Arbeiten in den GeWis gesehen, die im Prinzip nur geschrieben wurden, um in einer Bibliothek zu verstauben oder um die Publikationsliste zu verlängern, die aber keine wirklichen Beiträge leisten. Wenn wir uns nur darauf verlassen, dass das, was wir wissen, irgendwo stehen soll, kann das schnell in die Hose gehen. Das ist so ein Stück weit auch eine Sache der eigenen Position, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas auf lange Sicht gesund für eine vermeintliche Wissensgesellschaft sein kann.


    Und zu der Sache mit dem aktivierten Wissen: Chomsky hat ja auch gedacht, dass wir (ein wenig verkürzt gesagt) in unserem Gehirn alle Grammatiken aller Sprachen der Welt haben und erst als Kind durch den Kontakt mit einer konkreten Sprache alle anderen vergessen. Und trotzdem ist er international bekannt und die Leute nehmen ihn ernst. Er ist eben erstmals ein eher spezielles Thema systematisch angegangen und auch die Grundsteine gelegt. Wissen wächst ja auch historisch und muss genauso im Kontext gesehen werden.
    Aber das erinnert mich auch irgendwie an diese Sache mit den turns und trends in den GeWis wo der neueste heiße Scheiß importiert werden soll ohne, dass wirklich etwas Neues bei rumkommt. Weiß nicht warum, aber daran musste ich jetzt denken.

    https://blogs.ubc.ca/etec540se…crates-writing-vs-memory/


    Ist auf jeden Fall eine sehr radikale Kritik der Grundlagen unserer Gesellschaft und das auch heute noch. Dazu finde ich zum Glück noch eine Quelle. Ich bin nur durch Zufall auf dieses Thema gestoßen, weil ich einen Beweis für eine Behauptung in einer Einführung für Linguistik (Linke, Nussbaumer, Portmann, Kapitel über Semiotik) gesucht habe, die leider keine Quelle hat. Dort heißt es, dass in Alphabetisierungskursen die Erfahrung gemacht wurde, Menschen, die aus nicht-bildlichen Kulturen kommen, würden Probleme haben, gezeichnete Bilder sowie Fotografien zu interpretieren, sogar teilweise gar nicht können. Das wurde nicht weiter erläutert und durch das Konzept des "Visuellen Alphabetismus" in der Medienpädagogik bin ich dann irgendwann auf Sokrates gekommen. War ein richtiger brain fuck darüber nachzudenken und wenn ich jetzt darüber nachdenke, wie ich dort hin gekommen bin, ist es ein noch größerer brain fuck.


    Ich denke, dass man hier auch die "replicability crisis" anmerken kann, nämlich dass in den Humanwissenschaften und hier besonders in der (Sozial-)Psychologie vielen Ergebnissen nicht getraut werden kann, weil Journals und Verlage lieber neue Ergebnisse veröffentlichen um ihren impact factor zu erhöhen. Wenn Replikation aber in den Journals keinen Platz haben (okay, hier muss auch gesagt sein, dass die Relevanz von Journals im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Publikationsformen je nach Region auch variiert) dann ist es irgendwo auch fraglich, ob ein Ergebnis wirklich aussagekräftig ist.


    Es ist also nicht nur fragwürdig, was wir im beschriebenen Szenario noch wissen würden, sondern auch noch, ob das, was wir denken zu wissen, überhaupt stimmt. Na wunderbar.

    Zuerstmal müsste man allen Wissenschaftlern Papier besorgen, um ihr Wissen aufzuschreiben. Da geht es schon los. Woher kriegen wir Papier ?

    Socrates würde hier ja sagen, dass das geschriebene Wort eigentlich wirklichem Wissen im Wege steht, da nach ihm, wenn wir etwas aufschreiben, wir es nicht "wissen", sondern lediglich eine Möglichkeit gefunden haben, uns daran zu erinnern. Und ich würde dem ehrlich gesagt zustimmen. Wir haben ja schon einige Schreibsysteme aus alten Zeiten, die wir nicht mehr entziffern können bspw nordische Runen bei denen nicht klar ist, in welche Richtung sie gelesen werden sollen.
    Aber wenn kein Geld da ist, wird unsere Vergangenheit auch einfach nicht weiter erforscht. Dann werden die Runstenar nicht für die Nachwelt konserviert, weil das auf Dauer auch zu teuer wäre. Ist vermutlich auch ein Stück weit die Arroganz des modernen Menschen zu denken, unsere Vorfahren waren alle dumm und ungebildet. Wenn man mal bedenkt, über welch komplexe Sachen sich die Menschen in der Antike den Kopf zerbrochen haben und das ist nur das, was bis heute erhalten geblieben ist.


    Deswegen glaube ich auch, dass es uns in diesem Gedankenexperiment nicht helfen würde, wenn wir irgendwas aufschreiben würden. Schrift und das Lernen dieser ist eben auch etwas institutionalisiertes und so wie die Menschheit heute drauf ist zweifle ich, dass wir es aus unserer eigenen Motivation hinbekommen würden, eine so wichtige Kulturtechnik weiterzugeben.


    Und wenn wir jetzt einfach mal Socrates' Gedankengang folgen: Wenn all unsere Bücher und PDFs verschwinden, was wissen wir dann eigentlich noch wertvolles, das uns in so einer Situation helfen könnte?